Antoni Gaudí – Der Architekt Gottes (eBook)
368 Seiten
Theiss in der Verlag Herder GmbH
978-3-534-62408-9 (ISBN)
Kathrin Benz, Jahrgang 1963, gehört durch ihre Nidwaldner Mutter zu den zahlreichen Nachkommen des Niklaus von Flüe. Aufgewachsen in Basel, studierte sie in Genf und Brüssel und war Korrespondentin der Schweizerischen Depeschenagentur in Lugano. Heute ist sie freischaffende Übersetzerin und Journalistin und lebt mit ihrem Mann und den sechs Kindern im Tessin.
Kathrin Benz, Jahrgang 1963, gehört durch ihre Nidwaldner Mutter zu den zahlreichen Nachkommen des Niklaus von Flüe. Aufgewachsen in Basel, studierte sie in Genf und Brüssel und war Korrespondentin der Schweizerischen Depeschenagentur in Lugano. Heute ist sie freischaffende Übersetzerin und Journalistin und lebt mit ihrem Mann und den sechs Kindern im Tessin.
VORWORT
Als die Hochschule für Architektur in Barcelona im Jahr 1878 dem Sohn eines Kesselschmieds aus der Provinz endlich das Abschlussdiplom ausstellte, meinte der Rektor zu den anderen Professoren, er sei sich nicht sicher, ob dieser Antoni Gaudí ein Genie oder ein Spinner sei. Ein Genie war Antoni Gaudí (1852–1926) allemal, und vermutlich auch ein bisschen verrückt. Er verbiss sich in alles, was ihn faszinierte, ob Architektur, Kunst, Technik, Musik, Poesie, Religion, Heimatliebe, Naturheilkunde, und besonders in seine geliebte katalanische Sprache. Mit seiner Kompromisslosigkeit brachte er alle um ihn herum auf die Palme, so dass sich sogar ein katholischer Priester resigniert zu dem etwas unchristlichen Ausruf hinreißen ließ: Mit Gaudí kann man nicht diskutieren. Entweder man gibt ihm Recht1. Er selbst gab zu:
»Um nicht in falsche Demut zu verfallen, hat uns der Herr den kleinen Wurm aufbrausender Selbstsucht hinterlassen. Ich bin vom Temperament her ein Mann, der kämpft. Ich habe ohne Unterlass gekämpft und alles erreicht, außer, meinen schlechten Charakter zu besiegen«.2
Gaudí ist der berühmteste Vertreter des katalanischen Jugendstils, der Modernisme genannt wurde. Jedes seiner Gebäude, von denen die meisten in Barcelona stehen und fast alle zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, ist ein Gesamtkunstwerk und erzählt eine Geschichte. Seine architektonischen Konstrukte sind mathematische und technische Pionierleistungen, dabei behauptete Gaudí stets, nichts Neues erfunden zu haben, im Gegenteil, man brauche bloß die Natur zu beobachten, denn diese habe für alles die perfekte Lösung bereits vorgesehen. Sein berühmtester Satz lautet:
»Originalität ist die Rückbesinnung auf den Ursprung.«
Am Ursprung stehen die Naturgesetze. Deshalb war sein größter Lehrmeister der Baum, wie er sagte, und deshalb führt die Natur zu Gott, der ihre Gesetzmäßigkeiten geschaffen hat. Gerade unsere flatterhafte Zapping-Generation stellt erstaunt fest, dass ausgerechnet die tiefe Erdung dieses Architekten ihm ermöglichte, über alle Kategorien hinauszuwachsen und sich weit in andere Sphären zu strecken, bis hin zum Göttlichen. Man nennt Gaudí deshalb den Architekten Gottes. Sein Gott war der zärtliche Gott der Schöpfung und besonders der Schönheit, die das Herz des Menschen berührt. Schönheit wird die Welt retten, ließ der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski (1821–1881) seinen Idioten sagen. Es klingt wie das Lebenslied Gaudís.
Seine eigenen Wurzeln, auf die er sehr stolz war, reichen sieben Generationen zurück, in denen die Gaudís als Kupfer- oder Kesselschmiede ein untrügliches Auge für Volumen und Perfektion entwickelt hatten. Antoni wird der Letzte sein, der mit diesen handwerklichen Tugenden aufwächst, aber er wird sie in seine Architektur übertragen. Er war nicht nur ein großartiger Handwerker, Beobachter, Statiker und Mathematiker, sondern vor allem eines: ein Erzähler. Seine Bauwerke sind Geschichten aus der Mythologie und der Bibel, wie das Drachenhaus des Batlló, der Märchenpark Güell, der höhlenartige Klotz der Pedrera oder das Palais seines großartigen Mäzens Eusebi Güell (1846–1918). Güell ist der wichtigste Name an seiner Seite. Der weitgereiste, sensible und hochgebildete Großindustrielle gehörte zu den reichsten Männern Spaniens und teilte die visionäre Kraft und Religiosität seines Freundes. Anders lässt sich nicht erklären, warum er ihm geschlagene zehn Jahre lang ein ganzes Team von Spezialisten einzig für das Basteln eines Hängemodells finanzierte.
Auch die Sagrada Família in Barcelona, diese noch immer unfertige, gigantische, faszinierende, lichtdurchflutete Kirche mit ihrem Baumkronen-Gewölbe und dem Wald aus angeschrägten Säulen, ist ein Bilderbuch aus Stein. An der Fassade hängen Skulpturen von guten und bösen Menschen, Heiligen und Soldaten, Kriechtieren, Bomben, Kinderleichen, Engeln und Dämonen. Sie ist übersät mit Blütenteppichen, riesigen Getreidesamen, Kleinvieh, flatternden Vögeln und Szenen aus der Heilsgeschichte, die jedes Jahr Millionen Besucherinnen und Besucher zum Staunen bringen. Auch wer nicht spirituell unterwegs ist, hält den Atem an.
Gaudí brach ständig Tabus und erntete für seine neuen ästhetischen Wege grenzenlose Bewunderung oder abgrundtiefen Spott. Ein wahnwitziges Gebräu3 nannte der deutsch-britische Kunstgeschichte-Papst Nikolaus Pevsner (1902–1983) die Architektur Gaudís, der er zwar Kühnheit beschied,4 ihr aber lange Zeit die kalte Schulter zeigte, bis er sich eines Besseren besann. Der spanische Kunsthistoriker Juan Antonio Gaya Nuño (1913–1976) nannte Gaudís Werke steinerne Missgeburten und obszöne Knollen.5
Andere hingegen waren des Lobes voll. Der exzentrische Surrealist Salvador Dalí (1904–1989) rief begeistert aus: Das letzte große Genie der Architektur war Gaudí, dessen Name auf Katalanisch Geniesse! bedeutet (…) Der Genuss und die Sehnsucht, die für den Katholizismus und die mediterrane Gotik charakteristisch sind, wurden von Gaudí neu erschaffen und in einen Freudentaumel versetzt.6 Auch der Schweizer Kultarchitekt und Großmeister der strengen Geometrie Le Corbusier (1887–1965) nannte ihn einen Mann von außergewöhnlicher Kraft, mit einem starken Glauben und technischen Fähigkeiten (…) Gaudí war ein großer Künstler. Nur jene, die zum empfindsamen Herzen der Menschen sprechen, bleiben und werden bleiben.7
Ein wichtiges Merkmal seiner kulturellen Identität war die katalanische Sprache, die bei seiner Geburt noch verboten war. Gaudís Lebenszeit war geprägt von der politischen Frage nach der Eigenständigkeit Kataloniens, die ja bis heute nicht geklärt ist, und die damals immer wieder zu Blutvergießen führte. Die spanische Zentralmacht versuchte wiederholt, der katalanischen Bevölkerung ihre Sprache zu verbieten, und so steigerte sich Gaudís Heimatliebe mit den Jahren in unbändigen Trotz gegen die Obrigkeit, der ihm sogar eine Nacht im Gefängnis einbrachte. Zwar hielt er sich von der Politik fern, weil er nach eigenen Worten nicht das Zeug zum Politiker hatte, aber er wurde mitgerissen vom Strudel der ideologischen Umwälzungen, die damals ganz Europa überrollten. Barcelona war eine reiche Stadt mit einer boomenden Industrie, doch die meisten Menschen lebten im Elend, und Kirche und Politik mussten wohl oder übel nach Antworten suchen. Besonders ab den 1890er Jahren forderten staatliche Repression und linker Gegenterror einen hohen Blutzoll, so dass Barcelona die Bombenstadt genannt wurde.
Zehn Jahre nach Gaudís Tod erfasste die Gewaltwelle auch die Sagrada Família, und viele von Gaudís Freunden wurden von den radikalen Aktivisten wegen ihrer Verbindung zu dem verstorbenen katholischen Architekten und dem Kirchenbau getötet. Alle schriftlichen Zeugnisse Gaudís, seine Zeichnungen und Modelle, sein ganzes Erbe, wurde 1936 von den Anarchisten verbrannt und zertrümmert. Was geblieben ist, sind seine Bauwerke und der Versuch der Nachwelt, die Sagrada Família in seinem Sinne zu vollenden.
Die katholische Kirche ist auf dem besten Weg, den katalanischen Architekten selig zu sprechen. 1992 gründeten fünf Architekten und Künstler in Barcelona einen zivilen Verein zur Seligsprechung von Antoni Gaudí, der Ende 2023 in eine kanonische Vereinigung umgewandelt wurde. Beim Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse im Vatikan liegt die offizielle, über 2000 Seiten zählende »positio« die Sammlung aller Dokumente zum Leben und Wirken Gaudís, vor. Sie enthält auch Zeugenberichte über die vorbildliche Gottessehnsucht und den unerschütterlichen Glauben des Schöpfers der vielleicht letzten Kathedrale der Menschheit und über wundergleiche Ereignisse nach seinem Tod.
Zu Lebzeiten Gaudís entstanden viele Biografien von Menschen, die später selig- oder heiliggesprochen wurden. Gaudí kannte mehrere von ihnen. Es waren Ordensgründer, Missionare oder Christen, Männer und Frauen, die Opfer des Hasses auf die Religion wurden. Das 19. Jahrhundert war in Katalonien bekannt für seinen Durchmarsch der Heiligen.8 Kritische Stimmen monieren, die katholische Kirche wolle Gaudí für ihre Zwecke vereinnahmen, indem sie ihn nun heiligspreche. Doch Gaudí hatte nun einmal ein inniges Gottvertrauen und lebte mit zunehmendem Alter wie ein Asket, nahm täglich die Eucharistie zu sich und beichtete jeden Abend. Als Kind war er oft einsam gewesen, in der Jugend ein unternehmungslustiger Lebemann, der sich ein paar Mal unglücklich verliebte und später irgendwie keine Zeit zum Heiraten fand. Allmählich verschmolzen Glaube und Arbeit immer stärker, er selbst versank immer tiefer im Gebet und in der Betrachtung der Schöpfung, die ihm die Antworten auf alle architektonischen, moralischen und ästhetischen Fragen und letztlich auch auf den Sinn seines Lebens lieferten.
Zuletzt lebte Gaudí nur noch für die Sagrada Família, die von der ersten Stunde an einzig und allein durch private Spenden finanziert wurde. Er war überzeugt:
»Nur eine Kirche kann das Empfinden eines Volkes auf würdige Weise ausdrücken, da die Religion das Höchste im Menschen ist.«9
Er wusste sehr wohl, dass er die fertige Sagrada Família...
Erscheint lt. Verlag | 10.2.2025 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Antoní Gaudi • Barcelona • Katalonien • Modernismo • Sagrada Familia |
ISBN-10 | 3-534-62408-4 / 3534624084 |
ISBN-13 | 978-3-534-62408-9 / 9783534624089 |
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